Rassismus in der Polizei: Traumatisiert von der Polizei (2024)

Für seinen Job als Altenpfleger fährt John H. in Hamburg mit dem Fahrrad von Patient*in zu Patient*in, bringt ihnen ihre Medikamente, versorgt sie und erkundigt sich nach ihrem Wohlbefinden. Am 18. April wurde er bei einer Schicht von drei Fremden attackiert. Sie rissen ihn vom Fahrrad, fixierten ihn auf dem Boden und legten ihm Handschellen an. "Ich dachte, die wollen mich überfallen", sagt John. Erst gegenüber Passant*innen gaben sich die Männer als Zivilpolizisten zu erkennen. Sie hielten John für einen Drogenkurier. Der 31-Jährige arbeitet seit sieben Jahren als Altenpfleger in Hamburg, vor 15 Jahren war er aus Ghana nach Deutschland gekommen.

Offiziell darf die Polizei nicht anlasslos Menschen nach ihrem Aussehen oder ihrer ethnischen Herkunft kategorisieren. Trotzdem berichten rassifizierte Menschen immer wieder von Fällen, in denen sie ohne Anlass von der Polizei kontrolliert, festgehalten und kriminalisiert wurden – auf dem Weg zur Arbeit, beim Einkauf oder beim Besuch von Freund*innen. Die vermeintlich verdachtsunabhängigen Personenkontrollen beeinträchtigen den Alltag der Betroffenen massiv und sie hinterlassen Spuren.

"Die ersten Tage danach waren schlimm", sagt John. Seine Gedanken wanderten immer wieder zurück zur Tat. Er hatte Flashbacks, konnte nachts nicht einschlafen. Der Tag verfolgte ihn. Wenn er zu Schichtbeginn aufs Rad stieg, musste er ununterbrochen darüber nachdenken. Dieses nächtelange Wachsein und Grübeln hat auch seiner Arbeit geschadet. "Ich trage bei der Arbeit viel Verantwortung. Es ist nervig, wenn ich nicht hundertprozentig bei der Sache sein kann." Auch heute, sechs Monate später, muss John manchmal an den Nachmittag in Hamburg-Eimsbüttel zurückdenken. Er braucht Schlafmittel, um nachts durchzuschlafen.

Die Polizei – kein Freund, kein Helfer?

"In besonders schweren Fällen von Racial Profiling, vor allem dann, wenn es in der Auseinandersetzung mit der Polizei auch zu physischer Gewalt kam, kann das zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen", sagt der Psychologe Eben Louw. Symptome wie Schlafprobleme, Angst, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit oder Konzentrationsstörungen könnten dabei auftreten. Eben Louw, der auch Autor und Berater ist, arbeitete elf Jahre bei OPRA Berlin, einer psychologischen Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Der Psychologe erlebte täglich, was mit Menschen geschieht, wenn ihr Grundvertrauen in die Polizei und damit auch in den Staat gestört wird, wenn die Polizei nicht als "Freund und Helfer" auftritt, sondern als eine potenzielle Bedrohung.

Die Leute haben bestimmt gedacht, dass ich noch so ein Schwarzer bin, der irgendwas verbrochen hat.

Forschungen zu den Folgen von Racial Profiling gibt es im deutschsprachigen Raum kaum. Eine Ausnahme bildet eine empirische Untersuchung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, erhoben 2019 in der Schweiz. Ein Team aus Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen befragte dafür 30 Schwarze Menschen und People of Color zu ihren Erfahrungen mit rassistischen Polizeikontrollen und den Auswirkungen dieser auf ihr Privatleben. Die Studie unterscheidet dabei zwischen langfristigen Folgen – wie dem sozialen Rückzug – und kurzfristigen Folgen – wie beispielsweise dem Gefühl der Demütigung beim Vorfall selbst. Sie belegt, dass Racial Profiling die Leben von Schwarzen Menschen und People of Color maßgeblich prägt.

Im November 2020 veröffentlichte die Ruhr-Universität Bochum außerdem einen Zwischenbericht zu ihrem Forschungsprojekt Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen. Für diesen befragten Forscher*innen 3.373 Personen, die polizeiliche Gewalt erlebt hatten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass People of Color nach polizeilichen Gewaltanwendungen im Durchschnitt stärkere psychische Folgen davontragen als weiße Menschen.

Ein Gefühl der Erniedrigung und der Scham

Betroffen von Racial Profiling sind rassifizierte Menschen, viele sind seit ihrer Geburt mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert. People of Color entwickeln deshalb "Antennen" im Umgang mit Diskriminierung. Sie spüren Ungerechtigkeiten ihnen gegenüber schneller. Zu dem Schluss kam das Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum.

Rassistische Polizeikontrollen finden nicht in einem isolierten Raum statt, sie passieren auf offener Straße, es gibt Passant*innen, die die Szene beobachten. In aller Öffentlichkeit von der Polizei angehalten, durchsucht und nach den Personalien gefragt zu werden, löse bei Betroffenen häufig ein Gefühl der Scham aus, erklärt Eben Louw. Im Englischen gibt es dafür einen Begriff: Public Humiliation – öffentliche Erniedrigung. Von Racial Profiling Betroffene können durch die Blicke oder gar Sprüche der Zuschauer*innen daran erinnert werden, welche Vorurteile oder rassistischen Bilder in der Gesellschaft über sie existieren. Sie vermuten, dass diese genau in dem Moment in den Köpfen bestätigt werden. Das könne ein Schamgefühl triggern, das wiederum zu schweren psychischen Problemen wie Depressionen, Angstzuständen oder Paranoia führen kann, sagt Psychologe Eben Louw.

Auch John H., der Altenpfleger aus Hamburg, hätte sich am liebsten versteckt, als er sich plötzlich auf dem Boden wiederfand. Während Kinder an ihm vorbeispazierten und ihn mit großen Augen anblickten, fühlte er sich wie ein Verbrecher. "Die Leute haben bestimmt gedacht, dass ich noch so ein Schwarzer bin, der irgendwas verbrochen hat", sagt er.

Rassismus in der Polizei: Traumatisiert von der Polizei (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Moshe Kshlerin

Last Updated:

Views: 5980

Rating: 4.7 / 5 (57 voted)

Reviews: 80% of readers found this page helpful

Author information

Name: Moshe Kshlerin

Birthday: 1994-01-25

Address: Suite 609 315 Lupita Unions, Ronnieburgh, MI 62697

Phone: +2424755286529

Job: District Education Designer

Hobby: Yoga, Gunsmithing, Singing, 3D printing, Nordic skating, Soapmaking, Juggling

Introduction: My name is Moshe Kshlerin, I am a gleaming, attractive, outstanding, pleasant, delightful, outstanding, famous person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.